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Menschen vor Gericht

Für viele Menschen, die zum ersten Mal bei Gericht – als Kläger, Beklagter oder auch als Zeuge – auftreten ist alles neu. Viele fühlen sich der Maschinerie ausgeliefert, insbesondere, wenn sie keinen Anwalt haben.
Hier hilft zwar die Gerichtshilfe, eine Einrichtung, die bei den Gerichten von Rechtsreferendaren erfüllt wird, indem sie für Fragen der Betroffenen ein offenes Ohr hat. Doch viele nutzen diese Möglichkeit nicht, weswegen hier nun ein kurzer überblick über den gar nicht so komplizierten Ablauf des Auftretens bei Gericht gegeben werden soll.

Was ist eigentlich ein Zivilprozess?

Die mündliche Verhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache durch den vorsitzenden Richter. Er stellt fest, wer alles in welcher Funktion anwesend ist. Anschließend beginnt die sogenannte Güteverhandlung, in der versucht werden soll, eine gütliche Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen. Scheitert dies, so stellen die Parteien ihre Anträge, tragen hierzu vor und verhandeln streitig miteinander – d.h. sie diskutieren den Sachund Streitstand. Gegebenenfalls erfolgt anschließend die Beweisaufnahme. In diesem Rahmen kommt es oft zur Vernehmung von Zeugen. Auch hier gibt es eine klare Struktur.
Zunächst wird das Erscheinen der Zeugen festgestellt. Dies kann auch vorab direkt nach dem Aufruf der Sache erfolgen. Hiermit verbunden ist zumeist die Zeugenbelehrung, bei der der Zeuge auf seine Wahrheitspflicht gem. § 395 I ZPO, die Möglichkeit der Vereidigung nach den §§ 391, 395 I ZPO und die Strafbarkeit von falschen Angaben nach den §§ 153, 154 StGB hingewiesen wird. Nun kann das Gericht die Reihenfolge der Vernehmungen festlegen. Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal und werden später wieder einzeln zur Vernehmung aufgerufen.
Einzeln deshalb, damit die Zeugen nicht hören, was im Saal besprochen wird und sie ihre Aussage somit davon unbelastet machen.
Die Vernehmung selbst folgt ebenfalls klaren Regeln.
Sie beginnt gem. § 395 II ZPO mit Fragen zur Person, also Name, Alter, Beruf, Wohnort. Dies ist aus mehreren Gründen von Bedeutung. Zunächst kann sich das Gericht einen ersten Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Zeugen machen, weiter ist zu prüfen, ob dem Zeugen Zeugnisverweigerungsrechte zustehen, und auch die Identität des Zeugen muss festgestellt werden.
Grundsätzlich müssen alle Zeugen – ob mit oder ohne Zeugnisverweigerungsrechte – vor Gericht erscheinen. Ausnahmsweise kann nach § 386 I, III ZPO im Falle einer vorheriger Entschuldigung und der Ankündigung des Gebrauchmachens vom Zeugnisverweigerungsrecht das Gericht von der Erscheinenspflicht befreien.
Nach § 396 I ZPO besteht die Vernehmung zur Sache aus zwei Komplexen:
1. Freie Erzählung des Zeugen (hier muss der Zeuge keine Scheu haben, er kann frei heraus erzählen, ob er Hochdeutsch oder seinen Dialekt spricht; er kann sich vorbereitend Notizen machen, und nach Absprache mit dem Gericht ist sogar das Verlesen von schriftlich vorgefertigten Aussagen möglich)
2. Fragen des Gerichts, dann der Reihe nach die Fragen der Parteien bzw. Anwälte (ein Kreuzverhör, wie in amerikanischen Filmen, ist allerdings unzulässig, lediglich sogenannte Vorhaltungen sind möglich nach § 396 II ZPO. Bei einer Vorhaltung liest der Fragende dem Zeugen ein bestimmtes Dokument vor und fragt ihn darauf bezogen eine konkrete Frage.)
Abschließend wird das Protokoll verlesen und vom Zeugen genehmigt, bzw. wenn das Protokoll in Anwesenheit des Zeugen laut diktiert wurde auf Verlangen vorgespielt und dann genehmigt. Die Vereidigung ist in der deutschen Gerichtspraxis äußerst selten.

Verwandtschaftsgrade:
Oft ist den Bürgern nicht klar, welche Verwandtschaftsverhältnisse zu Zeugnisverweigerungsrechten führen. Hier daher die privilegierten Verwandten:
Onkel: Bruder eines Elternteils oder Ehemann einer Tante
Tante: Schwester eines Elternteils oder Ehefrau eines Onkels
Cousin/Cousine bzw. Vetter/Base: Kind eines Onkels/Tante
Schwager: Ehemann der Schwester (bzw. Bruder der Ehefrau)
Enkel: Kind des Kindes
Allgemein gesagt: In grader Linie (= Kinder, Eltern, …) bestehen immer Zeugnisverweigerungsrechte, in Seitenlinie (= Onkel, Cousin, …) bestehen sie bis zum 3. Grad der Verwandtschaft und bis zum 2. Grad unter Verschwägerten.

Und wie läuft das Ganze dann im Strafprozess?

Im Strafprozess gelten ebenfalls feste Regeln.
1. Jeder kann Zeuge sein, auch Kleinkinder. Z.N. muss ein gesetzlicher Vertreter (ggf. ist ein Pfleger durch das Vormundschaftsgericht zu bestellen) bei Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechtes der Aussage zustimmen.
2. Unter 16 Jahren wird der Zeuge nur durch den Vorsitzenden vernommen.
3. Der Angeklagte kann für die Dauer der Vernehmung ausgeschlossen werden, um den Zeugen zu schützen (§ 247 StPO).
4. Auch die öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden (§ 172 GVG).
Ein Zeuge hat einige zwingende Pflichten. So muss er auf eine Ladung hin bei Gericht erscheinen, sonst trägt er die Kosten, die durch sein Ausbleiben entstanden sind. (§ 51 I 1 StPO) Dies können die Kosten eines neuen Termins sein und sich auf einige Tausend Euro belaufen. Weiter kann gegen den Zeugen ein Ordnungsgeld (§ 51 I 2 StPO), ersatzweise sogar Ordnungshaft verhängt werden. Auch kann er zwangsweise durch die Polizei vorgeführt werden (§ 51 I 3 StPO).
Eine Entschuldigung im Falle der Verhinderung ist selbstverständlich möglich, sollte aber schnellstmöglich und nicht zu oft geschehen.
Auch hier kann das Gericht den Zeugen bei Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechts von der Erscheinenspflicht entbinden.
Wichtigste Pflicht des Zeugen ist aber – wie in jedem Prozess – die wahrheitsgemäße Aussage (es sei denn es besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht – doch auch in diesem Fall darf nicht gelogen werden!)
Auch im Strafprozess sind Vereidigungen die Ausnahme.
Andererseits hat ein Zeuge aber auch Rechte. So kann er einen Rechtsbeistand mitbringen. Das Zeugnisverweigerungsrecht für Verwandte wurde schon mehrfach angesprochen.
Davon zu unterscheiden ist das Aussageverweigerungsrecht bei Selbstbelastung nach § 55 StPO. Hier hat der Zeuge nicht das Recht, nichts zu sagen, sondern nur einzelne Fragen unbeantwortet zu lassen, wenn er durch die Beantwortung sich selbst oder einen nahen Verwandten belasten würde.
Im Falle einer unberechtigten Aussageverweigerung treten dieselben Folgen ein wie bei unentschuldigtem Fernbleiben: Der Zeuge hat die Kosten zu tragen und kann mit Ordnungsgeld bzw. -haft belegt werden.
Opfer einer Straftat oder deren Hinterbliebene können sich dem Strafprozess als Nebenkläger anschließen. Hierfür ist eine schriftliche Anschlusserklärung bei Gericht erforderlich. Nebenkläger sitzen neben der Staatsanwaltschaft als „Ankläger“. Sie haben im Vergleich zu Zeugen erweiterte Rechte. So dürfen sie im Prozess anwesend bleiben, sie können nicht ausgeschlossen werden wie normale Zeugen. Weiter stehen ihnen im Laufe des Verfahrens Mitwirkungs- und Informationsrechte zu. Sie können z.B. Akteneinsicht beantragen.
Die Vernehmung im Strafprozess verläuft ähnlich der des Zivilprozesses. Zunächst die Belehrung mit Wahrheitsermahnung, Hinweis auf die Eidespflicht und die strafrechtlichen Folgen von falschen Aussagen. Danach auch hier das Verlassen des Sitzungssaals, später wird der Zeuge durch Aufruf wieder hereingeholt. Allerdings sind Gegenüberstellungen von Zeugen zulässig, so dass auch einmal mehrere Zeugen gleichzeitig im Saal sein können.
Anschließend erfolgt die Vernehmung zur Person (auch bei Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechtes müssen diese Angaben gemacht werden) und darauf die Vernehmung zur Sache im Zusammenhang und auf Fragen aller Beteiligten.

Zeugenentschädigung:

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Zeugen, da sie vom Staat gezwungen werden zu erscheinen und ggf. auszusagen, hierfür eine Entschädigung nach dem ZSEG erhalten. Bei Gericht und Staatsanwaltschaft erhält man in der Regel für seinen Verdienstausfall pro Stunde 2 bis 13 EUR.
© Rechtsanwalt und Mediator Frank Richter 2011