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Das Double-Opt-In-Urteil des OLG München (29 U 1682/12)- Much ado about nothing?

Unternehmen, die per E-Mail oder Telefon Werbung betreiben, klagen ständig darüber, dass ihr Geschäft durch die bösen Gerichte, Abmahnanwälte und den Gesetzgeber unmöglich gemacht würde. Erstaunlicherweise merkt man keinerlei Rückgang in beiden Bereichen, zumindest nicht als Umworbener. Denn über die Jahre haben die Gerichte (trotz diverser Fehlurteile und Außenseiterentscheidungen und heillosem Chaos in der Streitwertbemessung) durchaus verlässliche Leitlinien aufgestellt, wie man derartige Werbung rechtssicher betreiben kann. So gibt es fast niemanden mehr, der sich im E-Mail-Marketing noch auf ein Single-Opt-In verlässt.
Nun hat jedoch der 29. Senat des OLG München, der durchaus öfter absurde Entscheidungen in diesem Bereich fällt, ohne sich mit anderen Entscheidungen – egal ob von Amts- oder Landgerichten, anderen Oberlandesgerichten oder gar dem Bundesgerichtshof – auseinanderzusetzen, auf den ersten Blick das mühsam aufgebaute Gerüst mit einigen wenigen Federstrichen eingerissen.
Nun kommt dieser Senat (Urteil vom 27.09.2012, 29 U 1682/12) einmal mehr mit einer eigentlich ollen Kamelle, die auch das LG Berlin (u.a. Beschluss vom 19.09.2002, 16 O 515/02) und das Kammergericht (Beschluss vom 08.01.2002, 5 U 6727/00) in grauer Vorzeit brachten, mittlerweile aber zumindest sehr viel klarer gefasst, also eigentlich aufgegeben haben.
Im Nachhinein verwundert dies nicht, denn mit Urteil vom 19.08.2010 hat der selbe Senat (29 U 2236/10) schon zu erkennen gegeben, dass er den Sinn und Zweck des Double-Opt-In-Verfahrens nicht verstanden hat. Konsequenterweise hat er damals auch die Revision trotz Gehörsrüge nicht zugelassen: „Auch bei Einsatz des vom Kläger angesprochenen Double-Opt-In-Verfahrens könnte sich die Beklagte lediglich darüber Kenntnis verschaffen, ob der Adresseninhaber in die Übersendung einwilligt, nicht jedoch darüber, welche Identität der Adresseninhaber hat.“ Deswegen sei der Unterlassungsanspruch auf einzelne E-Mail-Adressen beschränkt. Mit entgegenstehender Rechtsprechung (zum Wettbewerbsrecht: BGH, Urteil vom 11.03.2004, I ZR 81/01, WRP 2004, 731, 735, GRUR 2004, 517, 518, NJW 2004, 1655 ff – Email Werbung; BGH Urteil vom 29.06.2000, I ZR 29/98, NJW-RR 2001, 620 – Filialleiterfehler; OLG Hamm, Urteil vom 16.10.2007, 4 U 91/07, MMR 2008, 780 und MMR 2009, 769; LG Berlin, Beschluss vom 16.10.2009, 15 T 7/09, MMR 2010, 38; zum Unterlassungsanspruch des direkt Betroffenen ohne wettbewerbsrechtliche Anspruchsgrundlagen: LG Hamburg 312 O 132/11, Beschluss vom 16.10.2012; LG Osnabrück, Urteil vom 01.04.2011, 12 O 2861/10; LG Berlin, Urteil vom 19.07.2011, 15 S 1/11; LG Coburg, Urteil vom 11.07.2011, 14 O 502/10; AG Hamburg, Urteil vom 29.12.2011, 17b C 66/11; AG Hamburg, 7a C 144/05; AG Hamburg-Barmbek, 815 C 224/11, Urteil vom 27.03.2012) setzte sich das sich in der Tradition des BayObLG sehende OLG München auch hier nicht ansatzweise auseinander.
Entsprechend erstaunt es nicht, dass sich das OLG mit keinem Wort mit dem Urteil des BGH vom 10.02.2011 (I ZR 164/09 - Telefonaktion II) auseinander gesetzt hat, obwohl dies für den Anspruch eines Obergerichts zwingend gewesen wäre. Der BGH stellt dort klar, dass das Double-Opt-In-Verfahren grundsätzlich geeignet ist, eine Einwilligung nachzuweisen.
Die unerbetene E-Mail-Werbung ist regelmäßig gemäß § 1 UWG unzulässig (BGH, Beschluss vom 20.05.2009, I ZR 218/07). Deshalb hat der Versender diejenigen Umstände darzulegen und zu beweisen, die den rechtsbegründenden Tatsachen ihre Bedeutung nehmen (statt vieler BGH, Urteil vom 11.03.2004, I ZR 81/01; BGH, Urteil vom 19.09.1996, I ZR 124/94, GRUR 1997, 229, 230 = WRP 1997, 183 - Beratungskompetenz). Zu diesen gehört bei E-Mail-Werbung das die Wettbewerbswidrigkeit ausschließende Einverständnis (vgl. zur Telefonwerbung: BGH, GRUR 2000, 818, 819 - Telefonwerbung VI: zur E-Mail-Werbung: KG, MMR 2002, 685; zum Einverständnis bei der Telefaxwerbung: OLG Koblenz, WRP 1995, 1069 = CR 1996, 207; OLG Oldenburg, NJW 1998, 3208).
Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Werbung mittels E-Mail, Telefax oder Werbeanrufes auch eine unzulässige Belästigung im Sinne von §§ 823, 1004 BGB dar, da sie die Aufmerksamkeit des Betroffenen über Gebühr hinaus in Anspruch nimmt und zu einer unzumutbaren Belastung des Privat- oder beruflichen Bereichs führt, und zwar auch dann, wenn sie zur Aufnahme eines erstmaligen geschäftlichen Kontaktes dient. Selbst die einmalige Zusendung stellt einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgebübten Gewerbebetrieb (BGH, Beschluss vom 20.05.2009, I ZR 218/07; OLG Naumburg, 10 U 60/06; LG Berlin, NJW-RR 2000, 1229, 1230; AG Hamburg, NJW 2005, 3220; i.E. ebenso KG, NJW-RR 2005, 51) bzw. in das Persönlichkeitsrecht dar. Lediglich eine einmalige Double-Opt-In Bestätigungsnachricht wurde in der Rechtsprechung als zulässig erachtet. Wenn allerdings Erinnerungen oder gar Mehrfachanmeldungen möglich sind, so ist dies zumindest problematisch.
Dementsprechend kann der Nachweis der Einwilligung durch den Werbenden nur durch das sog. Double-Opt-In-Verfahren oder ein entsprechendes Verfahren, nicht aber durch das Single-Opt-In-Verfahren geführt werden, weil dieses Verfahren den Missbrauch durch Unbefugte, die Daten anderer Personen gegen deren Willen verwenden, nicht ausschließen kann (BGH, I ZR 164/09, Urteil vom 10.02.2011; AG Berlin-Mitte, 21 C 43/08; LG Essen, Urteil vom 20.04.2009, 4 O 368/08, MMR 2009, 504). Durch die Einrichtung des Double-Opt-In Verfahrens wird der Werbende auch nicht übermäßig belastet. Insbesondere kann gegen dieses Verfahren nicht eingewendet werden, dass es seinerseits u.U., nämlich dann, wenn die erste Eintragung tatsächlich nicht vom Inhaber der Adresse vorgenommen wurde, zur Zusendung einer unerbetenen E-Mail und damit wiederum zu Unterlassungsansprüchen gegen den Versender führe. Denn sofern sich die Bestätigungsmail tatsächlich auf die Bestätigung beschränkt und nicht bereits selbst werbenden Inhalt hat, muss der Empfänger diese unverlangte E-Mail hinnehmen (AG München, NJW-RR 2007, 547, 548).

In nuce: Noch nie war das Double-Opt-In-Verfahren eine gesetzliche Pflicht. Es war – und ist – aber der einzige Weg, sicher beweisen zu können, dass der Inhaber einer E-Mail-Adresse persönlich mit der Werbezusendung einverstanden ist.

Die übrige Rechtsprechung verlangt, dass die Check-Mail werbefrei sein muss, was laut OLG München wohl nicht möglich sein soll. Und damit braucht man bereits für die Check-Mail eine Einwilligung. Da aber die Check-Mail gerade dazu dient, die Einwilligung beweisbar zu machen, kann man zwangsläufig keine beweisbare Einwilligung für die Zusendung der Check-Mail haben. Dass sich hier die Katze in den Schwanz beißt, apparet id etiam caeco.

Aber ist tatsächlich jede Check-Mail Werbung?

Eine juristische Definition von „Werbung“ liefern Art. 2 a) der Richtlinie zu irreführender und vergleichender Werbung (2006/114/EG) und Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 84/450 EG. Diese definieren Werbung als „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern“. Diese Definition gilt auch für § 5 UWG.
Es geht aber zu weit, jegliche Ansprache durch ein Unternehmen pauschal als Werbung einzuordnen. Die Erfüllung eines Vertragsverhältnisses per Auftragsbestätigung oder Rechnungsversand per E-Mail ist eindeutig keine Werbung, sondern von § 28 BDSG gedeckt. Hier fordert niemand eine Einwilligung des Empfängers.
Der einzige Zweck der Check-Mail ist die Verifizierung der Einwilligung des Empfängers in die Zusendung eines Newsletters. Die Check-Mail selbst fördert nicht den Absatz von Waren und Dienstleistungen. Eher im Gegenteil: Das Double-Opt-In-Verfahren kostet Empfänger, denn durchschnittlich bestätigt ein Viertel der Empfänger einer Check-Mail die Registrierung für den Newsletter nicht und kann damit nicht angeschrieben werden. Deswegen verzichtet(e) Neckermann bis zu Letzt auf das Double-Opt-In-System. Die meisten Marketingabteilung konnten erst durch eine oder mehrere teure Verurteilungen zur Einführung des Double-Opt-In-Verfahrens geprügelt werden.
Deswegen sollte klar sein – auch wenn der Verfasser nahezu immer auf Seiten der Empfänger streitet: Die Zusendung einer Check-Mail bedarf keiner vorherigen Einwilligung. Dies ist zum einen denklogisch nicht machbar, zum anderen ist die (reine) Check-Mail auch schlicht keine Werbung.
Eine reine Check-Mail liegt vor, wenn sie werbefrei ist. Sie darf also neben der Aufforderung zur Bestätigung der Einwilligung und dem Wortlaut der Einwilligung keinen zusätzlichen werblichen Inhalt aufweisen. Auf der sicheren Seite ist daher, wer das Logo des Unternehmens nicht einbezieht und die Check-Mail nüchtern und neutral als Plain-Text ohne jede grafischen Elemente gestaltet.
Nun ist das Urteil des OLG München aber gefallen. Ob die – definitiv wünschenswerte – Revision zum Bundesgerichtshof die notwendigen Korrekturen bringen wird, ist bislang nur eine juristisch fundierte Hoffnung. So lange kann man sich nur mit folgender Binsenweisheit trösten: Richterrecht ist kein Gesetz. Ein Gerichtsurteil stellt nur die rechtliche Einzelfall-Würdigung eines konkreten Lebenssachverhaltes dar. Und auch das OLG München ist nur eines von 24 Oberlandesgerichten in Deutschland – und dreien in Bayern. Ein Urteil eines Oberlandesgerichts wird sicherlich eine Anhängerschaft bei unteren Gerichten finden, es ist damit aber nicht ansatzweise gesagt, dass andere Gerichte nicht anders – also wie bisher – entscheiden. Denn vor Gericht und auf See ist man in Gottes Hand.
In dem Urteil des OLG München wird der Sachverhalt zudem nur recht dürftig wiedergegeben. Es wird nicht thematisiert, ob der Empfänger der Check-Mail sich tatsächlich auf der Internetseite der Beklagten für den Newsletter registriert hat. Erstaunlich ist auch, dass der Kläger nicht vorgetragen hat, auch mit der zweiten E-Mail nichts zu tun zu haben, somit zu bestreiten, dass tatsächlich ein funktionierendes Double-Opt-In-System eingerichtet war. Wäre dies vorgetragen worden hätte das Urteil m. E. genau umgekehrt lauten müssen: Die erste Zusendung war nicht zu beanstanden, die zweite jedoch durchaus. Dies zeigt auch: Urteile erklären sich nicht nur aus den zur Entscheidung berufenen Richtern, sondern manchmal auch durch die Parteien (und ihre Anwälte) sowie deren Prozessführung.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Online- und Telefonmarketing sind rechtlich und tatsächlich nicht immer problemlos. Die Formulierung einer Einwilligungserklärung und die Gestaltung und beweissichere Dokumentation des Opt-In schwankt zwischen zu treibendem Aufwand, der mit Kosten und Ausfall von Empfängern verbunden ist, und Rechtssicherheit, die diese Kosten wieder einsparen kann. Die Entscheidung des OLG München ist schlicht ein Messer ohne Klinge, bei welchem der Stiehl fehlt und sollte daher – außer durch die Kassierung durch den BGH – keine größere Aufmerksamkeit erfahren. Das Double-Opt-In-System stellt nach wie vor den Königsweg im E-Mail-Marketing dar. Das Urteil verdeutlicht bestenfalls die Bedeutung einer sauberen Dokumentation, um im Ernstfall vor Gericht alle erforderlichen Beweise vorlegen zu können.

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© Rechtsanwalt und Mediator Frank Richter 2012